Ich gestehe es lieber gleich zu Beginn dieser möglicherweise etwas zu lang geratenen Rezension: Truman Capote gehört zu meinen Lieblingsautoren. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass der Kein&Aber-Verlag, der sich bereits in vielfacher Hinsicht um Capote verdient gemacht hat, einige seiner Bücher aus Anlass des 100. Geburtstags dieses bemerkenswerten Autors neu aufgelegt hat. Dazu zählt auch das hier besprochene Buch „Musik für Chamäleons".
Es handelt sich um eine Art von Erzählband, wobei auch diese Bezeichnung eigentlich nicht zutrifft. Das Buch ist so einzigartig wie sein Autor, es passt überhaupt nicht in irgendeine Kategorisierung. Erschienen ist es erstmals 1980 und es ist das letzte Buch, das Capote vor seinem Tod (1984) geschrieben hat. Capote hat dem Buch ein Vorwort vorangestellt, in dem er unter Heranziehung einer kurzen, sehr persönlichen und selbstkritischen Schilderung seines literarischen Werdegangs erklärt, wie das Buch entstanden ist.
1980, also im Jahr des Erscheinens dieses Buchs galt Capote in der amerikanischen Literaturkritik als ausgebrannt. Er, der über Jahrzehnte hinweg als enfant terrible der amerikanischen Literatur galt, der mit der Erfindung des sogenannten Tatsachenromans Literaturgeschichte geschrieben hat, geriet nach dem Erscheinen eines seiner berühmtesten Werke, dem auf einem realen Mordfall basierenden Buch „Kaltblütig“, in eine persönliche Lebenskrise, die viele und auch er selbst auf die Arbeit an diesem Buch zurückführten. So besessen, wie er bereits als Teenager vom Schreiben war, rekonstruierte er in diesem Werk den Mord an einer vierköpfigen amerikanischen Familie, der sich in der amerikanischen Provinz ereignet hatte und der viel Aufsehen erregte. Die Rekonstruktion bezog sich aber nicht nur auf das Tatgeschehen, sondern auch auf die Biografien der Opfer und der Täter bis hin zur Schilderung der grausamen Details der Hinrichtung beider Täter. Es entstand ein 1966 erschienener Tatsachenroman als neue Literaturgattung, obwohl Capote schon in 1956 mit dem Werk „Die Musen sprechen" ein Buch veröffentlicht hatte, das er als journalistischen Roman bezeichnete.
„Kaltblütig" schien Capote aber zum Verhängnis zu werden. Das Buch wurde zwar als literarische Sensation bezeichnet und war ein Bestseller. Der hoch empfindsame Capote konnte die von ihm selbst recherchierten und zu Papier gebrachten erschütternden und grausamen Details des Buchs jedoch nicht verkraften und versank nach dem Erscheinen des Werks in Alkohol- und Drogenexzessen. Das über Jahre hinweg geplante und lediglich in Auszügen erschienene Folgewerk „Erhörte Gebete" wurde von der amerikanischen Öffentlichkeit -wohl zu Recht- sehr ungnädig aufgenommen, was zu Capotes Abstieg, der sich zunehmend auch in gesundheitlicher Hinsicht ereignete, beitrug.
Umso erstaunlicher dann sein letztes Buch, nämlich „Musik für Chamäleons". Es liest sich wie ein letztes Aufbäumen gegen das Versiegen seiner Schaffenskraft. Dazu zieht Capote nochmals alle Register seines literarischen Könnens. Schon immer hat Capote in seinem Werk teilweise sehr persönliche und sensible Details seines eigenen Lebens verarbeitet. Dies kennzeichnet auch in sehr großem Ausmaß das hier besprochene Buch. Leser und Leserinnen, die zuvor noch nichts von Capote gelesen haben, sollten deswegen vielleicht nicht mit diesem Buch beginnen, sich mit Capote zu befassen. Immer wieder -und gerade in diesem Buch, aber auch in „Kaltblütig“ sehr ausgeprägt- schafft Capote es, seine Leser und Leserinnen zu erschrecken, zu befremden, zu irritieren und sie manchmal zumindest unmittelbar nach der Lektüre etwas ratlos zurückzulassen. Er behandelt seine Leser und Leserinnen als Erwachsene, er schildert oft, aber er erklärt nicht, will seine Leser und Leserinnen also nicht beeinflussen. Gerade diese Eigenart der von ihm als Tatsachenroman oder auch journalistischer Roman bezeichneten Art, sich mit einem bestimmten Geschehen zu befassen, entspricht recht häufig nicht dem, was in der modernen europäischen Literatur aktuell veröffentlicht wird. Dort wird eben nicht nur erzählt, sondern erklärt und interpretiert, sodass die Leserschaft nicht mehr gänzlich unbeeinflusst mit einem bestimmten Geschehen, das in dem Roman erzählt wird, umgehen kann, ja vielleicht auch soll. Auch dieser Unterschied ist es, der mich zu der Empfehlung führt, erst ein anderes Buch von Capote zu lesen, etwa „Frühstück bei Tiffany“ oder „Die Grasharfe", in denen diese Eigenart noch nicht so ausgeprägt ist.
Der Inhalt des hier besprochenen Buchs besteht aus drei Teilen.
Nach dem bereits erwähnten Vorwort folgt ein Abschnitt, der mit „Konversationsporträts" überschrieben ist. Wie Capote in dem Vorwort selbst erläutert, handelt es sich dabei um von ihm nachträglich rekonstruierte Gespräche mit von ihm als interessant empfundenen Personen der Zeitgeschichte, die er in Interviewform wiedergibt. Aus dieser Art der Darstellung entsteht eine Art von Porträt der „interviewten" Person. Schon hier begegnet man der weiter oben bereits beschriebenen Eigenart Capotes. Auch die befremdlichsten Aussagen der porträtierten Person werden unkommentiert stehen gelassen. So muss der Leser bzw. die Leserin mit der Aussage eines von Capote porträtierten Mörders (mit diesem Sujet hat sich Capote immer wieder befasst), der auf eine Frage nach dem von ihm begangenen Mord äußert, alles, was passiere, sei gut, zurechtkommen. In einem weiteren Porträt begegnet man einem Bekannten von Capote, der der Pädophilie beschuldigt wird, wobei unklar bleibt, ob dieser Vorwurf zutrifft. Auch hier unterbleibt jegliche Erklärung bzw. Kommentierung. Der Leser bzw. die Leserin wird mit den teilweise irritierenden Aussagen der porträtierten Person allein gelassen und muss sich selbst seine Gedanken machen, eine Beobachtung, die auch für weitere, hier unerwähnt gebliebene Konversationsporträts, die in diesem Abschnitt enthalten sind, gilt.
Im zweiten Abschnitt, der mit „Begegnungen" überschrieben ist, veröffentlicht Capote teilweise stark biografisch geprägte Erzählungen. Darunter befindet sich die Erzählung „Geblendet“, eine erschütternde Geschichte über einen von Capote als Kind zulasten eines Familienangehörigen begangenen Diebstahl vor dem Hintergrund der sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnenden Homosexualität Capotes, zu der er sich später immer offen bekannt hat, die er als Kind aber offensichtlich als außerordentlich belastend empfand. Auch hier: er erzählt, er ordnet nicht ein, er überlässt die Interpretation des Geschehens dem Leser bzw. der Leserin.
Im dritten und letzten Abschnitt des Buchs veröffentlicht Capote unter den Titel „Handgeschnitzte Särge" einen weiteren Tatsachenbericht über ein Verbrechen, der in seiner Intensität und sprachlichen Ausdruckskraft zwar bei weitem nicht an seinen Tatsachenroman „Kaltblütig" heranreicht, der aber dennoch wegen seiner Originalität und der aufgebauten Spannung beeindruckt.
Wie soll man also ein solches Buch bezeichnen? Ist es ein Erzählband? Teilweise ist das sicherlich der Fall. Andere Komponenten des Buchs bestehen aus Details, die einer Autobiografie ähneln. Weitere Details entsprechen eher dem, was Capote als journalistischen Roman bezeichnet. Es ist eben ein einzigartiges Buch von herausragender Qualität. Deswegen eine uneingeschränkte Leseempfehlung, allerdings verbunden mit dem weiter oben bereits erwähnten Hinweis an Leserinnen und Leser, die noch nichts von Capote gelesen haben: bitte nicht mit diesem Buch anfangen. Abgesehen davon, dass Capotes Gesamtwerk eine absolut Leseempfehlung ist, stellt „Musik für Chamäleons"den Schlusspunkt des literarischen Werks von Capote dar. Möglicherweise hat er dies vier Jahre vor seinem Tod bereits vorausgeahnt, wenn er im letzten Satz des bereits erwähnten Vorworts schreibt:
„Unterdessen sitze ich hier in meinem dunklen Wahnsinn, mutterseelenallein mit meinen Pokerkarten -und natürlich der Peitsche, die Gott mir gegeben hat."
Einzigartig
Ich gestehe es lieber gleich zu Beginn dieser möglicherweise etwas zu lang geratenen Rezension: Truman Capote gehört zu meinen Lieblingsautoren. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass der Kein&Aber-Verlag, der sich bereits in vielfacher Hinsicht um Capote verdient gemacht hat, einige seiner Bücher aus Anlass des 100. Geburtstags dieses bemerkenswerten Autors neu aufgelegt hat. Dazu zählt auch das hier besprochene Buch „Musik für Chamäleons".
Es handelt sich um eine Art von Erzählband, wobei auch diese Bezeichnung eigentlich nicht zutrifft. Das Buch ist so einzigartig wie sein Autor, es passt überhaupt nicht in irgendeine Kategorisierung. Erschienen ist es erstmals 1980 und es ist das letzte Buch, das Capote vor seinem Tod (1984) geschrieben hat. Capote hat dem Buch ein Vorwort vorangestellt, in dem er unter Heranziehung einer kurzen, sehr persönlichen und selbstkritischen Schilderung seines literarischen Werdegangs erklärt, wie das Buch entstanden ist.
1980, also im Jahr des Erscheinens dieses Buchs galt Capote in der amerikanischen Literaturkritik als ausgebrannt. Er, der über Jahrzehnte hinweg als enfant terrible der amerikanischen Literatur galt, der mit der Erfindung des sogenannten Tatsachenromans Literaturgeschichte geschrieben hat, geriet nach dem Erscheinen eines seiner berühmtesten Werke, dem auf einem realen Mordfall basierenden Buch „Kaltblütig“, in eine persönliche Lebenskrise, die viele und auch er selbst auf die Arbeit an diesem Buch zurückführten. So besessen, wie er bereits als Teenager vom Schreiben war, rekonstruierte er in diesem Werk den Mord an einer vierköpfigen amerikanischen Familie, der sich in der amerikanischen Provinz ereignet hatte und der viel Aufsehen erregte. Die Rekonstruktion bezog sich aber nicht nur auf das Tatgeschehen, sondern auch auf die Biografien der Opfer und der Täter bis hin zur Schilderung der grausamen Details der Hinrichtung beider Täter. Es entstand ein 1966 erschienener Tatsachenroman als neue Literaturgattung, obwohl Capote schon in 1956 mit dem Werk „Die Musen sprechen" ein Buch veröffentlicht hatte, das er als journalistischen Roman bezeichnete.
„Kaltblütig" schien Capote aber zum Verhängnis zu werden. Das Buch wurde zwar als literarische Sensation bezeichnet und war ein Bestseller. Der hoch empfindsame Capote konnte die von ihm selbst recherchierten und zu Papier gebrachten erschütternden und grausamen Details des Buchs jedoch nicht verkraften und versank nach dem Erscheinen des Werks in Alkohol- und Drogenexzessen. Das über Jahre hinweg geplante und lediglich in Auszügen erschienene Folgewerk „Erhörte Gebete" wurde von der amerikanischen Öffentlichkeit -wohl zu Recht- sehr ungnädig aufgenommen, was zu Capotes Abstieg, der sich zunehmend auch in gesundheitlicher Hinsicht ereignete, beitrug.
Umso erstaunlicher dann sein letztes Buch, nämlich „Musik für Chamäleons". Es liest sich wie ein letztes Aufbäumen gegen das Versiegen seiner Schaffenskraft. Dazu zieht Capote nochmals alle Register seines literarischen Könnens. Schon immer hat Capote in seinem Werk teilweise sehr persönliche und sensible Details seines eigenen Lebens verarbeitet. Dies kennzeichnet auch in sehr großem Ausmaß das hier besprochene Buch. Leser und Leserinnen, die zuvor noch nichts von Capote gelesen haben, sollten deswegen vielleicht nicht mit diesem Buch beginnen, sich mit Capote zu befassen. Immer wieder -und gerade in diesem Buch, aber auch in „Kaltblütig“ sehr ausgeprägt- schafft Capote es, seine Leser und Leserinnen zu erschrecken, zu befremden, zu irritieren und sie manchmal zumindest unmittelbar nach der Lektüre etwas ratlos zurückzulassen. Er behandelt seine Leser und Leserinnen als Erwachsene, er schildert oft, aber er erklärt nicht, will seine Leser und Leserinnen also nicht beeinflussen. Gerade diese Eigenart der von ihm als Tatsachenroman oder auch journalistischer Roman bezeichneten Art, sich mit einem bestimmten Geschehen zu befassen, entspricht recht häufig nicht dem, was in der modernen europäischen Literatur aktuell veröffentlicht wird. Dort wird eben nicht nur erzählt, sondern erklärt und interpretiert, sodass die Leserschaft nicht mehr gänzlich unbeeinflusst mit einem bestimmten Geschehen, das in dem Roman erzählt wird, umgehen kann, ja vielleicht auch soll. Auch dieser Unterschied ist es, der mich zu der Empfehlung führt, erst ein anderes Buch von Capote zu lesen, etwa „Frühstück bei Tiffany“ oder „Die Grasharfe", in denen diese Eigenart noch nicht so ausgeprägt ist.
Der Inhalt des hier besprochenen Buchs besteht aus drei Teilen.
Nach dem bereits erwähnten Vorwort folgt ein Abschnitt, der mit „Konversationsporträts" überschrieben ist. Wie Capote in dem Vorwort selbst erläutert, handelt es sich dabei um von ihm nachträglich rekonstruierte Gespräche mit von ihm als interessant empfundenen Personen der Zeitgeschichte, die er in Interviewform wiedergibt. Aus dieser Art der Darstellung entsteht eine Art von Porträt der „interviewten" Person. Schon hier begegnet man der weiter oben bereits beschriebenen Eigenart Capotes. Auch die befremdlichsten Aussagen der porträtierten Person werden unkommentiert stehen gelassen. So muss der Leser bzw. die Leserin mit der Aussage eines von Capote porträtierten Mörders (mit diesem Sujet hat sich Capote immer wieder befasst), der auf eine Frage nach dem von ihm begangenen Mord äußert, alles, was passiere, sei gut, zurechtkommen. In einem weiteren Porträt begegnet man einem Bekannten von Capote, der der Pädophilie beschuldigt wird, wobei unklar bleibt, ob dieser Vorwurf zutrifft. Auch hier unterbleibt jegliche Erklärung bzw. Kommentierung. Der Leser bzw. die Leserin wird mit den teilweise irritierenden Aussagen der porträtierten Person allein gelassen und muss sich selbst seine Gedanken machen, eine Beobachtung, die auch für weitere, hier unerwähnt gebliebene Konversationsporträts, die in diesem Abschnitt enthalten sind, gilt.
Im zweiten Abschnitt, der mit „Begegnungen" überschrieben ist, veröffentlicht Capote teilweise stark biografisch geprägte Erzählungen. Darunter befindet sich die Erzählung „Geblendet“, eine erschütternde Geschichte über einen von Capote als Kind zulasten eines Familienangehörigen begangenen Diebstahl vor dem Hintergrund der sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnenden Homosexualität Capotes, zu der er sich später immer offen bekannt hat, die er als Kind aber offensichtlich als außerordentlich belastend empfand. Auch hier: er erzählt, er ordnet nicht ein, er überlässt die Interpretation des Geschehens dem Leser bzw. der Leserin.
Im dritten und letzten Abschnitt des Buchs veröffentlicht Capote unter den Titel „Handgeschnitzte Särge" einen weiteren Tatsachenbericht über ein Verbrechen, der in seiner Intensität und sprachlichen Ausdruckskraft zwar bei weitem nicht an seinen Tatsachenroman „Kaltblütig" heranreicht, der aber dennoch wegen seiner Originalität und der aufgebauten Spannung beeindruckt.
Wie soll man also ein solches Buch bezeichnen? Ist es ein Erzählband? Teilweise ist das sicherlich der Fall. Andere Komponenten des Buchs bestehen aus Details, die einer Autobiografie ähneln. Weitere Details entsprechen eher dem, was Capote als journalistischen Roman bezeichnet. Es ist eben ein einzigartiges Buch von herausragender Qualität. Deswegen eine uneingeschränkte Leseempfehlung, allerdings verbunden mit dem weiter oben bereits erwähnten Hinweis an Leserinnen und Leser, die noch nichts von Capote gelesen haben: bitte nicht mit diesem Buch anfangen. Abgesehen davon, dass Capotes Gesamtwerk eine absolut Leseempfehlung ist, stellt „Musik für Chamäleons"den Schlusspunkt des literarischen Werks von Capote dar. Möglicherweise hat er dies vier Jahre vor seinem Tod bereits vorausgeahnt, wenn er im letzten Satz des bereits erwähnten Vorworts schreibt:
„Unterdessen sitze ich hier in meinem dunklen Wahnsinn, mutterseelenallein mit meinen Pokerkarten -und natürlich der Peitsche, die Gott mir gegeben hat."